Beitrag Zwangsarbeiter

Die Stadt Stuttgart ist jetzt am Zug

In der Auseinandersetzung ums Hotel Silber ist ein kritischer Punkt erreicht:
Es gibt keine Klarheit und Einigkeit, in der Frage, ob und in welchem Umfang sich die
Stadt Stuttgart an der Trägerschaft und damit auch an der Finanzierung des zukünftigen
Lern- und Gedenkortes beteiligen wird.
Das Land hat sich in dieser Frage klar positioniert. Es hat sich zu seiner Verantwortung fürs
Hotel Silber bekannt. Am 9. November 2011 erklärte Staatsministerin Silke Krebs im
Landtag: „Nicht erst seit dem Streit um die frühere Gestapozentrale im ehemaligen „Hotel
Silber“ in Stuttgart hat sich gezeigt, dass sich auch das Land einer besonderen Verantwortung
stellen muss. Wir haben die Weichen in diesem Punkt richtig gestellt. Das „Hotel Silber“ wird
erhalten. Wir werden in aller Ruhe, unter Einbeziehung der Initiative „Lern- und Gedenkort
Hotel Silber“ und auch der Stadt Stuttgart das Konzept für die Gedenkstätte entwickeln. Die
Landesregierung hat dabei ganz im Sinne des dezentralen Konzepts die klare Erwartung an
die Stadt, dass sie sich daran beteiligt.“ Dies bekräftigte auch die vom Land einberufene
Vorbereitungsrunde zum Runden Tisch am 9. Februar 2012 (siehe Presseerklärung von
Ministerialdirektor Wolfgang Leidig, Finanzministerium)
Uneinheitlich ist die Haltung der Stadt Stuttgart.
Der Gemeinderat hat in den Haushaltsberatungen im Dezember 2011 unter dem Titel
„Stuttgart übernimmt seinen Teil der Verantwortung“ einen Beschluss gefasst, in dem die
Stadt Stuttgart ihre Bereitschaft erklärt, sich am Entwicklungsprozess eines gemeinsamen
Lern- und Gedenkortes zu beteiligen, und schon jetzt für die Planung Mittel zur Verfügung
zu stellen.
Oberbürgermeister Dr. Schuster blendet in seinem Schreiben vom 22. März 2012 an die
Mitglieder des Beirats „Vermittlung der NS Geschichte in Stuttgart“ diesen Beschluss aus.
Er möchte hier den Ort ausschließlich in der Verantwortung des Landes sehen, verweist
auf die Belastung des städtischen Haushaltes durch den Aufbau des Stadtmuseums, zeigt
sich irritiert durch die weitergehenden Erwartungen von Seiten der Bürgerschaft und des
Landes und macht keinerlei Zusagen für eine finanzielle Beteiligung der Stadt Stuttgart
am Betrieb eines Lern- und Gedenkortes Hotel Silber.
Am 3. Mai 2012 findet nun ein erstes Gespräch zwischen Oberbürgermeister Dr. Schuster
und den zuständigen Ministerien des Landes statt.
Wir begrüßen den Beginn der Gespräche zwischen der Stadt Stuttgart und dem Land
Baden-Württemberg und bekräftigen den in unseren „Eckpunkten“ formulierten Standpunkt:
„Das Land und die Stadt sollen gemeinsam die Grundlage für den Lern- und Gedenkort
schaffen und dauerhaft sichern. Da er sich inhaltlich sowohl auf Stuttgart als auch auf
Württemberg-Hohenzollern beziehen muss, soll sich das in gemeinsamer Verantwortung für
diese Einrichtung abbilden.“ Für die Diskussion um die nun beginnenden Verhandlungen
zwischen dem Land und der Stadt Stuttgart möchten wir Ihnen die folgende Sammlung
von Argumenten mit auf den Weg geben, die alle für eine Beteiligung der Stadt Stuttgart
an einem Lern- und Gedenkort Hotel Silber sprechen.
Wir verstehen dies als Beitrag zu einer sachlichen Diskussion zwischen Stadt, Land und
Bürgerschaft und erinnern in diesem Zusammenhang an das große Interesse, mit dem die
Stuttgarter die Diskussion um das Hotel Silber bisher begleitet haben. Die Vielzahl der
Einwendungen zum Bebauungsplanverfahren 2010, die Beteiligung an den diversen
Anhörungen im Rathaus und die über dreitausend von der Initiative bereits im Herbst
2009 übergebenen Unterschriften, sprechen eine deutliche Sprache und sollten als
Votum der Bürgerschaft in die Überlegungen einbezogen werden.
Hotel Silber: die Stadt Stuttgart ist jetzt am Zug
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Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber e.V.
Das Hotel Silber steht nicht irgendwo, sondern inmitten der Landeshauptstadt Stuttgart.
Als Ort der Gestapoleitstelle steht es exemplarisch für die städtische NS-Geschichte und
ihre Nachwirkungen und es ist mit Schicksalen und Erinnerungen vieler Bürgerinnen und
Bürger verknüpft. Das Gebäude hat als Knoten im Netz der städtischen Erinnerungsorte
große Bedeutung.
Das Haus hat bis 1976 der Stadt gehört, die es zwar verkauft hat, ihre historische
Verantwortung damit aber nicht losgeworden ist, denn
– hier haben Stuttgarter als Täter gewirkt, hier wurden Stuttgarter gedemütigt, verhört,
gefoltert und ermordet, von hier aus wurde die Bespitzelung und Überwachung der
Stuttgarter Bevölkerung durch das NS-Regime organisiert,
– hier wurden alle Deportationen der Juden aus Stuttgart, aus Württemberg und Hohenzollern
organisiert. Sie kamen daraufhin in Konzentrationslager wie Riga, Izbica,
Theresienstadt und Auschwitz..
– von hier aus wurde auch nach 1945 die Diskriminierung und Verfolgung der Sinti und
Roma, der Homosexuellen und der Kommunisten fortgeführt.
Mit dem Hinweis auf 150 qm im zukünftigen Stadtmuseum wird der Dimension der
NS-Verbrechen und ihrer singulären Bedeutung nicht Genüge getan. Städte wie Köln,
Nürnberg, München und Hamburg machen deutlich, welcher Raum-, Material- und
Personalbedarf dafür besteht. Das Hotel Silber als authentischer Ort bietet die Chance,
mit diesen Städten gleichzuziehen, die NS-Geschichte Stuttgarts systematisch zu erforschen,
zu dokumentieren, und zu vermitteln und hierbei insbesondere die zahlreichen
„Gedächtnislücken“ in der Stadtgeschichte zu bearbeiten.
Zur Stuttgarter NS-Geschichte gehört unter anderem, dass
– die Stadt, die sich heute zu Integration und Weltoffenheit bekennt, als „Stadt der
Auslandsdeutschen“ eine völkische Ideologie gepflegt hat,
– ihr OB Strölin noch vor den Nürnberger Rassegesetzen eine diskriminierende
Judenverordnung erlassen hat,
– städtische Ämter sich in den Dienst des NS-Terrors gestellt und ihre jüdischen Mitarbeiter
entlassen, die Juden ausgehungert, aus der Stadt gedrängt, Sterilisationen
veranlasst und behinderte Kinder dem sicheren Tod ausgeliefert haben,
– die Stadt sich jüdischen Hausbesitz angeeignet hat und bis heute Gewinn daraus zieht,
– Stuttgarter Unternehmen durch „Arisierung“ jüdischer Konkurrenten und durch die
Beschäftigung von KZ-Häftlingen, Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen
profitiert haben.
Warum sich die Stadt Stuttgart an der Trägerschaft
des zukünftigen Lern- und Gedenkortes im Hotel
Silber beteiligen muss
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Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber e.V.
Von einem künftigen Lern- und Gedenkort Hotel Silber werden Stuttgarter Bürgerinnen
und Bürger profitieren. Vor allem Schulklassen aus Stuttgart und der näheren Umgebung
werden ihn als außerschulischen Lernort nutzen können. In der Erinnerungsarbeit
engagierte Stuttgarter werden hier Beratung finden und sich über ihre Arbeit austauschen
können. Der Ort kann zur Werkstatt werden, in der die unterschiedlichsten
Geschichtsbilder verhandelt werden, ein Ort der Auseinandersetzung mit Diskriminierung,
Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in einer von Einwanderung geprägten
Stadtgesellschaft.
Darüber hinaus bringt das Hotel Silber als Lern- und Gedenkort auswärtige Besucher in
die Stadt. Das Haus wird zu Stuttgarts Ansehen als weltoffener Stadt beitragen und
dokumentieren, dass sich die Stadt zukunftsorientiert mit dem dunkelsten Kapitel ihrer
Geschichte auseinandersetzt.
Die Argumente für eine ernsthafte Beteiligung der Stadt Stuttgart an der Trägerschaft
des Lern- und Gedenkortes liegen also auf der Hand. Umgekehrt wäre es
wirklich bemerkenswert, wenn sich ausgerechnet die Landeshauptstadt dem über
viele Jahre entwickelten dezentralen Gedenkstättenkonzept des Landes verweigern
würde, während es für die meisten Standortkommunen selbstverständlich ist
ihre Gedenkorte mitzutragen.
Stuttgart, 23. April 2012
Dokument zum Download Beteiligung der Stadt_ Argumente